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Wenn die Anlagenverkleinerung notgedrungen zur Bestlösung wird10 min read

2. August 2021, Lesedauer: 7 min

Wenn die Anlagenverkleinerung notgedrungen zur Bestlösung wird10 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Seit Ende der 1980er Jahre hatte das Kraftwerk Scharnitzbach für eine zuverlässige Stromerzeugung im steirischen Pusterwaldtal gesorgt.

Doch als 2019 die Konzession auslief, schien eine Verlängerung auf einmal kein Thema mehr zu sein. An-  rainer verweigerten dafür ihre Zustimmung. Damit die Stromproduktion nicht gänzlich zum Erliegen kommt, entschied sich der Betreiber, auf einen Teil der bestehenden Zuleitung zu verzichten und das Kraftwerk großteils neu zu errichten. Unter der planerischen Ägide der PI Mitterfellner GmbH aus Scheifling wurde nun eine Variante realisiert, die um knapp ein Drittel weniger Leistung bringt. Zudem konnte auch noch eine kleinere Oberstufen-Anlage mit 160 kW errichtet werden. Für die beiden Betreiber zumindest eine zufriedenstellende Notlösung.

Kennen Sie das schönste Bergdorf Europas? Seit 2019 darf sich die kleine steirische Gemeinde Pusterwald mit diesem Attribut schmücken. Sie holte die Goldmedaille bei der „Entente Florale Europe“, einem europaweiten Wettbewerb, dessen Bewertungskriterien allerdings mehr umfassen als nur als das optische Ortsbild. Vielmehr geht es dabei auch um Lebensqualität und Fragen der Nachhaltigkeit. Dass in diesem Zusammenhang eine Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien perfekt ins Bild passt, versteht sich von selbst. Gerade das Kraftwerk Scharnitzbach, das Ende der 1980er Jahre errichtet wurde, sorgte seit 30 Jahren für über 5 Gigawattstunden Ökostrom p.a. aus dem auf über 1.000 Meter ü.M. gelegenen Nebental des Pölstals. Doch just als es um die Verlängerung der ablaufenden Konzession ging, tauchten finstere Wolken am Himmel der Kraftwerksbetreiber auf. Anrainer, auf deren Grund die Wasserfassung und der obere Teil der Druckrohrleitung liegen, verweigerten die Zustimmung zu einer Verlängerung der Konzession. Für Stefan Werner, den erfahrenen Wasserkraftbetreiber aus Heidelberg, eine äußerst schwierige Situation. Doch Aufgeben war für ihn auch keine Option: „Natürlich war das sehr unbefriedigend. Aber wir haben gemeinsam mit dem Planungsbüro PI Mitterfellner nach einer Lösung für einen Weiterbetrieb gesucht – und die einzig machbare, war der Umbau auf eine kleinere Ausbauvariante.“

Projekt mit Herausforderungen
Stefan Werner gilt als Mann mit Wasserkraft-Know-how. Bereits sein Vater hatte am Neckar ein Kraftwerk betrieben. Allerdings, so erzählt Stefan Werner heute, hat es seinen Vater mehr und mehr in die österreichischen Berge gezogen. Fallhöhe schien ihn mehr zu interessieren als große Wassermengen. Heute hält er Beteiligungen an vier steirischen Wasserkraftwerken. „Nach dem Ableben meines Vaters 2008, habe ich die Planungen der anderen Wasserkraftanlagen übernommen – und dabei hat mich auch das ‚Wasserkraft-Virus‘ ein wenig erwischt.“ Sein Know-how sollte im Pusterwaldtal letztlich gefordert sein. Es galt, eine Notlösung zu entwickeln, die trotz Wasser- und Fallhöhenverlustes das Maximum aus den Rahmenbedingungen herausholte. Und dies in relativ kurzer Zeit. 2018 wurde die PI Mitterfellner GmbH mit der Planung betraut. Für Ing. Ewald Dröscher, den erfahrenen Planungsingenieur des Büros, eine nicht alltägliche Aufgabe, die auch die eine oder andere Herausforderung bereithalten sollte. „Sowohl die neue Wasserfassung als auch die Integration der komplett neuen elektromaschinellen Ausrüstung waren alles andere als einfach. Zudem stand uns für die gesamte Umsetzung nur ein enges Zeitfenster von rund 4 Monaten zur Verfügung. Aber zum Glück konnte das Projekt in dieser Zeit ohne Probleme umgesetzt werden“, so Ewald Dröscher.

Neues Leben in Albanien
Bis zum Sommer 2019 drehte sich die Turbine der Bestandsanlage noch, dann wurden die Maschinen stillgesetzt. Aufgrund der Fallhöhen- und Durchflussänderung blieb dem Betreiber gar nichts anderes übrig, als das elektromaschinelle Equipment komplett zu ersetzen. Für die alte Turbine sollte dies allerdings noch nicht das Ende ihres technischen Lebens sein. Man hatte noch Verwendung für die rüstige 30-Jährige aus der damals spanischen Produktionsstätte der Fa. Kössler, die heute Teil des Voith-Konzerns ist. Ein Südtiroler Turbinenspezialist hatte sein Interesse bekundet und demontierte in der Folge die komplette Maschine. „Er hat nicht nur die Turbine ausgebaut, sondern auch die gesamte Ringleitung herausgeschrämt, die ursprünglich in Beton vergossen war. Das hat ein wenig Zeit benötigt, aber letztlich hat er den Ausbau erfolgreich bewerkstelligt“, erinnert sich Ewald Dröscher. Heute ist die Maschine, die einst in Spanien für das steirische Pusterwald produziert wurde, in Albanien im Einsatz. „Angeblich läuft sie wieder sehr gut“, so der Planer.

Maschine mit starker Performance
Der Einbau der neuen Maschine gestaltete sich dagegen durchaus knifflig, wie der Planungsingenieur bestätigt: „Das bestehende Zulaufrohr, das nicht getauscht wurde, war im Hinblick auf die Einbausituation des neuen Maschinensatzes zwei Meter zu tief. Dafür galt es eine Lösung zu finden. Und generell war es nicht einfach, einen komplett anderen Maschinensatz in ein bestehendes Bauwerk zu integrieren, in dem auch einige Einbauten belassen wurden.“
Bei der Wahl des neuen Maschinengespanns entschieden sich die Verantwortlichen für eine 6-düsige Peltonturbine aus dem Hause Geppert, die mit einer elektrischen Düsensteuerung ausgeführt ist. Sie ist auf eine Bruttofallhöhe von 137 m und eine Ausbauwassermenge von 0,9 m3/s ausgelegt. Bei einem Wirkungsgrad von über 90 Prozent kommt die Turbine auf eine Nennleistung von 981,5 kW. Dies verdankt sie in erster Linie dem ausgefeilten Design des Geppert Laufrads. Dank ihrer 6 Düsen ist die Maschine auch in der Lage, sehr geringe Wassermengen zu verarbeiten. Eine Qualität, die in den kalten Wintermonaten durchaus gefragt ist. Stefan Werner zeigt sich bislang hoch zufrieden mit der Performance des Maschinensatzes, der nicht nur leistungsstark, sondern im Betrieb auch sehr leise arbeitet. Dies liegt unter anderem auch am direkt gekoppelten Synchrongenerator. Die Maschine aus dem Hause Hitzinger sorgt mit einer Wasserkühlung für einen ausgesprochen geräuscharmen Betrieb. Dank eines Wirkungsgrads von fast 97 Prozent liegt die Klemmenleistung des Maschinensatzes bei immerhin 950 kW.

Wasserfassung in der Geschiebesperre
Die neue Wasserfassung am Scharnitzbach musste rund 100 m tiefer situiert werden. Dafür bot sich ein bestehendes Querbauwerk an, das von der Wildbach- und Lawinenverbauung WLV errichtet worden war. „Glücklicherweise sind am Scharnitzbach zig Sperren und Querverbauungen, sodass uns im Zuge des Neuprojektes die Errichtung einer Fischaufstiegshilfe erspart geblieben ist. Aber auch die Integration der Wasserfassung in die äußerst massive Geschiebesperre war nicht ganz einfach“, erinnert sich Ewald Dröscher. Für den neuen Grundablass musste ein Loch in die Mauer gesägt werden. Als Fassung wurde ein Coanda-System vom Typ Grizzly Protec der Firma Wild Metal, bestehend aus 7 Modulen, in das Querbauwerk integriert. Es handelt sich dabei um ein patentiertes System des Südtiroler Branchenspezialisten, das je nach Anforderungen und hydrologischer wie topographischer Gegebenheiten individuell angepasst wird. Der Grizzly Power Protec wurde für Gebirgsbäche mit starker Geschiebeführung entwickelt. Seine strömungsoptimierten Strangpressprofilstäbe, die üblicherweise im Abstand von 30 mm bis 50 mm angebracht sind, halten das Geschiebe vom Feinsieb fern und bewahren dieses somit vor Beschädigungen. Ein Verkeilen von Steinen und Gehölz wird durch die spezielle Anordnung der Rechenstäbe weitgehend verhindert. Dies spielt gerade bei der Wasserfassung an der Geschiebesperre eine große Rolle, da man hier nur sehr schwer von Hand aus den Grobrechen reinigen kann. Die Wahl der WLV-Sperre sollte sich als Win-Win-Situation für alle Beteiligten erweisen. Einerseits für die Betreiber, die sich einen enormen baulichen Aufwand in einem durchaus sensiblen Ökosystem ersparen konnten. Und auch für die Gemeinde, der die Geschiebesperre eigentlich gehört: Sie profitiert nun davon, dass die Betreiber des neuen Kraftwerks Pusterwald in Zukunft die volle Verantwortung für den Unterhalt der Sperre übernehmen.

Weg frei für einen Oberlieger
Da der obere Teil des Triebwasserstrangs von der Scharnitzbachseite notgedrungener Weise stillgelegt wurde, konnte aus hydraulischen Gründen die Bachbeileitung des Schafferbachs nicht mehr für das neue Kraftwerk genutzt werden. Sie lag nun ja de facto um die besagten 100 m zu hoch. Im Zuge der Umplanung kristallisierte sich nach und nach die Idee heraus, diesen Abschnitt am Schafferbach ebenfalls zu nutzen – in Form eines weiteren Kleinkraftwerks. Für das Pusterwalder Urgestein Theodor Poier eröffnete sich damit eine interessante Perspektive. „Uns war schon klar, dass es sinnvoller ist, hier eine weitere Turbine einzubauen, als die Energie über ein Druckreduzierventil zu vernichten“, so der Betreiber. Schließlich waren Wasserfassung und Druckrohrleitung DN400 bereits vorhanden. Nur eine Maschinenzentrale musste gebaut werden. Die Intention des ortsansässigen Unternehmens war es, mit der Anlage seine touristisch vermieteten Almhütten zu versorgen. Dafür war anfänglich eine kleine Anlage mit 40 kW Leistung geplant. Doch dann beschloss Poier, auf eigene Kosten die 1,8 Kilometer lange Anbindung an das öffentliche Stromnetz zu übernehmen. Damit stand auch einem deutlich größeren Ausbaugrad des neuen Oberliegers nichts mehr im Weg. Die 3-düsige Peltonmaschine aus dem Hause Unterlercher Maschinenbau ist nun bei einer Fallhöhe von 93 m und einer Ausbauwassermenge von 225 l/s auf immerhin rund 160 kW ausgelegt. Sie ist erst seit wenigen Wochen in Betrieb und wird im Jahr rund 500.000 kWh Strom ins Netz einspeisen.

Unübliche Rahmenbedingungen für Wasserkraftspezialisten
Die komplette elektrotechnische und leittechnische Ausrüstung für beide Kraftwerke sollte von einem absoluten Branchenspezialisten, der MBK Energietechnik GmbH mit Sitz im südoststeirischen Ilz, realisiert werden. Für MBK-Geschäftsführer Christian Mund ein nicht gerade alltäglicher Auftrag, wie er selbst meint: „Im Grunde war dieses Projekt ja etwas Unübliches: Normalerweise macht man heute viel häufiger aus zwei ‚alten Dingen‘ eins. Aber in diesem Fall war es genau umgekehrt – aus eins mach zwei!“
Bereits das bestehende Kraftwerk Scharnitzbach wurde vor einigen Jahren von den Technikern von MBK steuerungstechnisch rundumerneuert. Es war davor immer wieder zu längeren Stillstandszeiten gekommen, woraufhin sich die Betreiber trotz der bevorstehenden Revitalisierung für eine Erneuerung der Turbinenregelung entschieden hatten. Sämtliche Komponenten wurden so gewählt, dass diese auch nach der geplanten Revitalisierung weiter eingesetzt werden können. Dass aus der Revitalisierung schon wenig später notgedrungen ein kompletter Neubau werden würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen. „Aufgrund der Änderung des kompletten Anlagenkonzept konnte nur noch der be­stehende Energieverteiler weiterverwendet werden. Alle anderen e-technischen Komponenten mussten von uns erneuert werden“, so Christian Mund, der dabei auf eine besondere Herausforderung verweist: ­„Um eine Kommunikation zwischen Krafthaus und Wasserfassung herzustellen, waren wir auf ein bestehendes, altes ‚Signalkabel‘ mit 3 x 2,5 mm2 angewiesen. Aber entgegen aller Befürchtungen hat das sehr gut funktioniert, und es ist jetzt sogar möglich, die Wasserfassung von der Ferne per Kamera zu überwachen.“ Was das kleinere KW Schafferbach anbelangt, so legte MBK dem Betreiber mehrere Varianten vor. Theo Poier entschied sich letztlich für die komplexeste, und dies aus gutem Grund: „Das Besondere an der Anlage ist, dass es sich um mehr als nur ein Kraftwerk handelt, sondern de facto um eine kleine Energiezentrale. Denn direkt vom Kraftwerk aus werden die Almhütten der Familie Poier mit Strom versorgt, und das nicht nur im Normalbetrieb. In Zukunft sollen die Hütten bei Bedarf auch im Inselbetrieb vom KW Schafferbach versorgt werden.“

Reduktion mit hoher Qualität
Mit dem Anschluss an das öffentliche Stromnetz erfuhr die Infrastruktur des offiziell „schönsten Bergdorfs Europas“ einen gehörigen Schub. Schließlich nutzte die Gemeinde Pusterwald sämtliche sich bietenden baulichen Synergien und verlegte mit der Stromleitung gleichzeitig einen neuen Kanal sowie eine moderne Telekommunikationsleitung. Mit den 500.000 kWh aus dem neuen KW Schafferbach und den rund 4 GWh aus dem neuen KW Pusterwald speisen die beiden Betreiber heute im Regeljahr rund 4,5 GWh ins Netz ein. Das bedeutet einen Rückgang gegenüber dem alten KW Scharnitzbach (vormals 5,3 GWh) um rund ein Viertel. Gerade für den Kraftwerksbetreiber aus Heidelberg Stefan Werner, der in der Steiermark bei seinen vier Kraftwerksbeteiligungen auf eine Gesamtproduktion von 7,5 GWh kommt, ist das eine bittere Pille. Dennoch zeigt er sich heute zufrieden darüber, dass sein Kraftwerk am Ende doch deutlich mehr geworden ist als nur eine Notlösung.

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